Domschatz Minden

Eine neue Architektur für den Glauben

Mit der neu gestalteten Kammer für den Domschatz Minden ist der deutschen Architektin Ines Miersch-Süß ein überzeugender Brückenschlag zwischen Kunst und Glauben gelungen. Es ist ihr erstes Architekturprojekt, bei dem sie ihre reiche Erfahrung auf dem Gebiet der Museumsplanung in einen kirchlichen Kontext einbringt, und die berühmte Schatzkammer wurde durch ihr sorgsam austariertes Architekturkonzept modernes Ausstellunggebäude und Ort der Andacht in einem.

Silberne Pyxis

Streifenliturgie

Die Neugestaltung der Architektur vollzog sich von Dezember 2012 bis zur Eröffnung am 25. März 2017. Bauherr ist die katholische Dompropsteigemeinde Minden. Kirchenaufsicht: Erzbistum Paderborn.

Projekt

Lage

Der Domschatz Minden befindet sich im Stadtzentrum von Minden. Er bildet mit dem nach dem Zweiten Weltkrieg wiederaufgebauten Dom zu Minden und dem 1976/77 errichteten Rathaus der Stadt Minden ein Ensemble rund um den Kleinen Domhof. Die drei großen Fenster an der Nordseite ermöglichen einen weiten Ausblick auf die umliegende Stadtlandschaft.

Geschichte

Vorgängerbauten

Der Domschatz befand sich bis zur Bombardierung der Stadt Minden im Zweiten Weltkrieg und der vollständigen Evakuierung in der alten Sakristei im Dom. An dieser Stelle im Dom befindet sich heute eine kleine Kapelle mit Meditationsraum.

1976 wurde der Domschatz im neu errichteten Gemeindehaus am Dom erstmals in einer öffentlich zugänglichen Ausstellung präsentiert. In der Ausstellungskammer wurden auf einer Grundfläche von 76 Quadratmetern alle 144 Objekte der Sammlung gezeigt.

Die Neugestaltung der Domschatzkammer

Planungsbeginn

Anfang 2006 begann man auf Anregung von Prof. Dr. Christoph Stiegemann, dem Direktor des Diözesanmuseums und Leiter der Fachstelle Kunst im Erzbischöflichen Generalvikariat, über die Neugestaltung der Domschatzkammer nachzudenken. Darauf wurden verschiedenste architektonische Entwürfe für eine Neukonzeption des Gebäudes vorgelegt und auf ihre Realisierbarkeit hin überprüft, und 2012 hatte sich der Dombauverein dann schließlich für einen dieser Entwürfe entschieden.

Ende 2012 bat man die renommierte Dresdener Museumsplanerin Ines Miersch-Süß, für diesen Gebäudeentwurf eine Ausstellung zu planen. Nach einem Besuch in Minden und der Besichtigung von Dom, Domgemeindehaus und Domschatz riet die Architektin daraufhin als Erstes einmal von der Umsetzung des bereits verabschiedeten Gebäudeentwurfs ab. Denn die Split-Level-Bauweise ermöglichte in ihren Augen weder ein sinnvolles Ausstellungskonzept noch eine wirkliche Verbesserung der öffentlichen Präsenz. Sie lehnte den Auftrag ab und empfahl dem Vorstand der Propsteigemeinde, noch einmal komplett von vorn zu beginnen.

Grundlegende Neukonzeption

Die Museumsplanerin wird im Januar 2013 mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt, das als Grundlage für die Neukonzeption des Domschatzes Minden dienen soll. Aus ihrem Gutachten wird schnell klar, dass für eine veränderte Präsentation des Mindener Domschatzes nur wenige der 144 Sammlungsobjekte von zentraler Bedeutung sind. Die Architektin bringt sodann den Dresdener Kunsthistoriker Prof. Dr. Dirk Syndram für ein Zweitgutachten ins Spiel. Der Direktor des Grünen Gewölbes und der Rüstkammer der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden ist ein ausgewiesener Experte für Preziosen vom Mittelalter bis zum Barock, und die beiden kennen sich seit der Neugestaltung des Grünen Gewölbes 1997, an der die Architektin maßgeblich beteiligt war. Dirk Syndram bekräftigt in seinem Gutachten die Einschätzung von Ines Miersch-Süß und entwickelt auf dieser Basis ein vollständig neues Ausstellungskonzept, das die mittelalterlichen Preziosen in den Mittelpunkt der neuen Domschatzkammer rückt und daneben die gesonderte Präsentation von rund 100 weiteren Objekten vorsieht. Auf diesem Kuratorenkonzept baut schließlich der Entwurf der Architektin Ines Miersch-Süß für das Gebäude und die Innenarchitektur auf.

Entwurf für innen und außen

Im Juli 2013 beginnt Ines Miersch-Süß mit den ersten Entwürfen zur Umgestaltung des Kopfbaus vom Haus der katholischen Domgemeinde. Die größte Herausforderung dabei ist, dass sich unter dem Fundament des Gebäudes eine Tiefgarageneinfahrt aus den 80er-Jahren befindet und dort keine zusätzliche statische Belastung entstehen darf. Zudem darf die auf dem Dach der Tiefgarage verlaufende Grundstücksgrenze durch den Umbau des oberirdischen Bestandsgebäudes nicht überschritten werden.

Dirk Syndram und Ines Miersch-Süß in der Pretiosenkammer – dem Neuen Grünen Gewölbe – im Dresdner Residenzschloss

Der Plan selbst sieht so aus: Die Passagenarchitektur des Gebäudeensembles, die den Kleinen Domhof mit der angrenzenden Stadt verbindet, wird im Bereich des Kopfbaus aufgelöst. So entsteht Raum für eine großzügige, vom Gemeindehaus getrennte Erschließung mit einem neuen, eigenen Treppenhaus. Die feingliedrige Architektur des Bestandgebäudes wird durch einen zweistöckigen Kubus ersetzt, der unmittelbar an die Traufkante des benachbarten Stadthauses aus der Mitte des 19. Jahrhunderts grenzt und auch Dom und Domgemeindehaus harmonisch ergänzt, jedoch durch die Aufgabe der alten Satteldachform zu einem gänzlich eigenständigen Baukörper wird, der eine deutlich abgegrenzte Architekturposition am Kleinen Domhof einnimmt. Damit ist das neue Äußere der Domschatzkammer geschaffen. Im Innenbereich sollen durch eine stützenfreie Architektur Säle entstehen, in der die in Vitrinen ausgestellten Preziosen voll zur Geltung kommen.

Auf Grund der komplizierten und prekären statischen Ausgangssituation und dem sehr eng gefassten Kostenrahmen bringt Ines Miersch-Süß zeitgleich einen „Plan B“ ins Gespräch. Dieser sieht die Angliederung der neuen Domschatzkammer als Miniaturgebäude entlang der Südostmauer des Domes, also parallel zum Langchor, vor. Die Anbindung wäre über den Zugang durch die historische Pforte zur Propstei gegeben. Diesen eher zurückhaltenden Entwurf lehnt die Dombaugemeinde ab, sodass man ausschließlich das Konzept zur Neugestaltung des Domschatzes Minden am Kleinen Domhof weiterverfolgt. Miersch-Süß setzt daraufhin die Ausarbeitung des Entwurfes zur Fassaden- und Innenraumgestaltung fort.

Das vollständige Entwurfskonzept zur Neugestaltung der Domschatzkammer sowie ein städtebauliches Modell werden im Herbst 2013 in der Diözese in Paderborn und im Rathaus der Stadt Minden vorgestellt. Von Februar 2014 bis Mai 2014 wird der Entwurf unter Einbindung der fachtechnischen Planer für Brandschutz, Haustechnik, Statik und Bauphysik konstruktionstechnisch ausgearbeitet und abgeschlossen. Der Antrag zur Baugenehmigung geht im Juni 2014 bei der Stadt Minden ein, und der Entwurf soll baulich umgesetzt werden.

Die Bauarbeiten beginnen nach zwei Jahren Planung im September 2015 mit dem Abbruch der Dachaufbauten des Vorgängerbaus. Und nach nur zwei Jahren Bauzeit wird der Domschatz Minden am 25. März 2017 in neu gestalteter Form wiedereröffnet und seiner Bestimmung als ein zusätzliches Haus für den Glauben an die Gemeinschaft übergeben.

Beschreibung

Architektur für den Glauben

Außenansicht

Das 15 Meter hohe Gebäude für den Domschatz Minden umfasst rund 450 Quadratmeter und drei Geschosse. Die deutsche Architektin Ines Miersch-Süß konzipierte es als eine Art Tageslichtmuseum für den Ausstellungsbesuch und die Andacht bei Tageslicht (wenngleich eine Domschatzkammer natürlich niemals nur reines Kunstmuseum ist).

Die Hauptexponate sind im ersten Geschoss ausgestellt, und ihre Präsentation ist auf die Eigenwirkung des Objekts ausgelegt. Die Hauptachse bildet das unmittelbare Gegenüber der Maria mit dem Jesuskind im Arm und dem Jesus am Mindener Kreuz, dem berühmtesten Objekt der Sammlung. Im zweiten Obergeschoss geht es weiter mit den Teilen der Sammlung aus der Zeit nach 1500, und der Raum ist in Anlehnung an eine Sakristei konzipiert – also den ursprünglichen Aufbewahrungsort des liturgischen Geräts. Hier befindet sich außerdem die Bibliothek.

Die Grundidee hinter allem war, dass der Kirchenschatz im Innern gleichsam von außen, von der Stadt her gesehen oder zumindest erahnt werden kann und umgekehrt von innen her collagehaft als Teil der Stadt mit den Ansichten der umliegenden Gebäude verschmilzt.

Angesichts der bescheidenen Größe des Gebäudes und der filigranen, vorwiegend metallischen und handwerklich extrem fein gearbeiteten Hauptobjekte beschränkt sich Ines Miersch-Süß sowohl bei der Gestaltung der Gebäudehülle wie auch der des Innenraums auf ein einziges Material: Metall. Das heißt, die Außenwände werden zum silbernen Gefäß, gleichsam einer Art Pyxis, im Innern schaffen farbige Metallwände den Bezug zum liturgischen Jahreskreis der katholischen Kirche.

Der Besucher des Domschatzes Minden soll eine Aura der Modernität und des Heute verspüren, der Gegenwärtigkeit von Glaube. Der Domschatz Minden ist für die protestantische Architektin das erste Architekturprojekt zum Thema Glauben.

Außen – silberne Pyxis

Das Gebäude zeigt sich von allen Seiten als metallverkleideter Kubus. Die Oberfläche bilden mattsilberne Alucobond-Platten in Rautenform. Nur der Eingangsbereich weicht als Bauteil mit geschosshohem Glas ab. Hier wird die Gestaltung der Umgebungsbebauung aufgegriffen: Um den Kleinen Domhof herum gruppieren sich Boutiquen und Cafés in gleicher Optik, in die sich das neue Gebäude wie selbstverständlich einfügt. Hier befindet sich auch der Haupteingang zum Domschatz Minden.

Die Nordseite wird von drei rechteckigen, raumhohen Fenstern durchbrochen. Der vierkantige Abschluss des Gebäudes ist eine Reminiszenz an den Chorabschluss im Osten des nur 50 Meter entfernten Mindener Domes. Die silberne Pyxis wird von drei Fenstern durchbrochen, was man zum einen als Verzierung sehen kann. Doch da das gelbe Licht der Objektbeleuchtung hier durch die ansonsten geschlossene Gebäudehülle nach draußen dringt, schaffen die drei Fenster zugleich eine Verbindung zwischen Schatzkammer und Stadt.

An der Ost- und Westseite befinden sich zwei mit der Metallfassade bündige Türen, die nur als Fluchtweg des Gebäudes dienen und auf den ersten Blick gar nicht weiter auffallen. Die südlich gelegene Rückseite schließt bündig an die Dachumrandung der Tiefgarage an.

Dach- und Wandkonstruktion

Das Dach ist leicht geneigt und gleicht auf diese Weise den Höhensprung zwischen dem First des Gemeindehauses und der Traufe der angrenzenden Stadthäuser aus. Die Metallabdeckung sollte sich ursprünglich bis über diese schräge Fläche erstrecken, wurde jedoch schließlich aus Kostengründen nur als einfache Flachdachkonstruktion umgesetzt.

Aus dem Bestandsgebäude wurden all die Bauteile für die neue Konstruktion übernommen, die für die Abtragung der Lasten erforderlich waren, sowie außerdem die Geschossdecke zwischen Erdgeschoss und erstem Obergeschoss samt Stützen. Das zweite Obergeschoss wurde als freitragende Leichtbaukonstruktion auf den Außenwänden aufgebaut, um die neuen statisch wirksamen Lasten in die Außenwände der Tiefgarageneinfahrt abzuleiten, denn die Mittelwand der Tiefgarageneinfahrt kam auf Grund ihrer mangelnden Dicke für Lastenabtragung nicht in Frage. Eine weitere zu berücksichtigende Besonderheit bildet der Querriegel aus Beton zwischen den äußeren, ebenfalls aus Beton gefertigten Bestandsgiebelwänden. Ursprünglich Rückwand des Vortragssaales, liegt er im neuen Gebäude halb im ersten, halb im zweiten Obergeschoss. Für die neuen Zugänge mussten an diesen Stellen Rahmenkonstruktionen ersonnen werden, die die ursprüngliche stabilisierende Funktion erhalten.

Um die erforderliche bauphysikalische Funktion der Fassade zu gewährleisten, wurden alle vorhandenen Wandaufbauten abgebrochen, etwas zurückgesetzt wieder neu hergestellt und mit einer Wärmedämmung ausgestattet. Der darum aufgebrachte Alucobond-Fassadenabschluss des Wandaufbaus ist so dünn, dass die Grundstücksgrenze nicht überschritten wurde. Andernfalls wäre diese architektonische Neugestaltung der Domschatzkammer Minden nicht möglich gewesen.

Gerhard Richter Streifenbilder, 2013 im Albertinum
Rudolph Stingel, 2013 im Palazzo Grassi, Francois Pinault Foundation

Innenraum und Ausstattung – Liturgik und Sakristei

Ines Miersch-Süß mit Gerhard Richter auf der Vernissage 2013 im Albertinum

Wie das Äußere der Schatzkammer so sollte auch der Innenraum von der hellen metallischen Verkleidung dominiert werden. Die Einfachheit des Gestaltungsprinzips und die Komposition aus silbernem Metall (Pyxis-Außenwand), goldenem Metall innen (Preziosen) sowie farbigem Metall an der „Pyxis-Innenwand“ war ein maßgeblicher Entwurfsgedanke der Architektin Miersch-Süß, durch den die Komplexität von Glauben im Heute an Raum gewinnen sollte. Aus Kostengründen musste der Bauherr jedoch letztendlich von diesem wichtigen Entwurfsdetail abweichen und konnte lediglich durch Wandmalerei eine Farbigkeit im Innenraum herstellen.

Durch die liturgische Farbigkeit im Innenraum der Ausstellung soll sich dem Besucher auch ohne Worte erschließen, dass es sich um einen katholischen Kirchenschatz handelt. Für die Umsetzung ließ sich Ines Miersch-Süß von den „Streifenbildern“ der im September 2013 im Dresdener Albertinum gezeigten Gerhard-Richter-Ausstellung inspirieren, ebenso wie von den Bildern Rudolf Stingels in der Ausstellung im Palazzo Grassi der François Pinault Foundation, die während der Biennale in Venedig zu sehen war.

Die Schlichtheit des Innenraums war auch der Leitgedanke für den Entwurf des Eingangsbereichs, in den aber schließlich abweichend vom ursprünglichen Konzept ein Museumsshop integriert wurde.

Bemusterung der Metall - Farbelemente im Innenraum 1. Obergeschoss

Aus Kostengründen wurde des Weiteren auch auf die Innenwandverkleidung des zweiten, sakristeiartigen Obergeschosses durch Holz-Metall-Paneele verzichtet, die eine gestalterische Verbindung zu den bestehenden Räumen im Haus am Dom geschaffen hätten.

Bedeutung für die Religion

Die katholische Dompropsteigemeinde in Minden befindet sich seit Jahren in der Diaspora und muss sich neben der evangelischen Gemeinde dort behaupten. Der Grundstein dafür wird für Ines Miersch-Süß bereits mit der Architektur gelegt.

Letztendlich liegt für Ines Miersch-Süß das maßgebliche und prägende Element des neu gestalteten Domschatzes Minden – die Architektur des Glaubens – in den Tageslichträumen im ersten Obergeschoss, in denen die mittelalterlichen Preziosen, die für die Werte des katholischen Glaubens stehen, unausweichlich in die Gegenwart geholt werden und im Austausch mit dem Hier und Jetzt stehen.

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